Volker Just

*01.09.1967   †29.11.2024

Die Schulgemeinde des OHG trauert um unseren langjährigen Lehrer und Kollegen Herrn Volker Just. Nachfolgend ein persönlicher Nachruf.

Lieber Volker!

Wie kann das sein? Wie kann an einem Tag noch vollkommene Normalität herrschen und nur drei Tage später ist nichts mehr so, wie es einmal war, und wird es auch nie wieder sein.

Am Freitag haben wir uns verabschiedet. Du fragtest: „Bringst du unser Material für den Methodentag am Montag mit?“ Ich antwortete: „Na klar, machen wir doch immer so.“ So normal, so banal, so sehr Alltag. Zugleich aber, ohne dass wir es wissen konnten, waren dies die letzten Worte, die wir austauschen würden.

Hätte ich es gewusst, was hätte ich getan? Ich hätte dich in den Arm genommen und Dir so vieles gesagt, was Dir persönlich zu sagen mir nun verwehrt bleiben wird. Vielleicht hätte ich aber auch gar nichts tun können, völlig gelähmt, weil das Gehirn, unser fehleranfälliges menschliches Gehirn, sich geweigert hätte zu verstehen.

Niemand konnte wissen, was passieren würde, und es ist gut, wenn man so Furchtbares nicht im Vorhinein weiß, denn selbst im Nachhinein sind Verstand und Gefühle so überfordert, dass sie sich dem Begreifen, der Realität zu entziehen versuchen.

So saßen wir, nur eine winzige Zeitspanne nach jenem Freitag, in kleinem Kreis beisammen und schauten uns an, die Augen geweitet in Betroffenheit und Hilflosigkeit, unfähig und unwillig die Nachrichten, die uns über Dich erreicht hatten, in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen. Es war ein unwirklicher Moment, in dem die Zeit gefror und die fassungslosen Herzen zu ahnen begannen, wovor der Verstand sich noch verschloss.

Gleichwohl musste der Schulalltag weiter gehen, so wie auch die Zeit niemals stehen bleibt, ganz gleich, wie sehr man sich das wünschen mag. Ich übernahm Deine Gruppen in der Methodenschulung, so wie Du es auch schon einmal für mich getan hast. Wir mussten aus dem Nebenraum noch ein paar weitere Sitzgelegenheiten besorgen, dem Raum, in dem eigentlich das Leben branden sollte und der nun ohne Dich dunkel und verlassen blieb. Die Gespräche der Schüler verhallten auf dem Flur, als sie mit ihren Stühlen das andere Klassenzimmer erreichten. Ich blieb zurück in der lastenden Stille des entseelten Raumes, der mit einem Mal eine Erinnerung an Dich heraufbeschwor, eine Erinnerung voller Leben und Ausdruck Deiner Persönlichkeit.

Wir waren wieder einmal, wie schon so oft, mit einer EF zur Abschlussfahrt der Lateinlerner in Trier. Nach einem wirklich heißen Tag, den wir beide lustig frotzelnd verbracht hatten, indem der eine ein ums andere Mal beglückt ausrief: „Ich liebe die Hitze!“, woraufhin die andere maulig entgegnete: „Ich hasse die Hitze!“, trafen wir die beiden anderen Kollegen unseres vierblättrigen Lateinerkleeblattes auf der Terrasse der Jugendherberge. Während ich mich ermattet auf einen der freien Stühle sinken ließ, bliebst Du stehen und verkündetest voller Tatendrang, als seiest Du nicht gerade den ganzen Tag durch eine infernalisch aufgeheizte alte Römerstadt getigert: „Wisst ihr was? Ich glaube, ich laufe mal eben noch zur Mariensäule hinauf!“ Schon warst Du unterwegs und bereits wenig später erreichten uns spektakuläre Bilder des Blickes hinab auf die Palastaula, rotglühend im Licht der untergehenden Sonne.

Lieber Volker, diese schöne Geschichte ist die Quintessenz dessen, was Dich ausgemacht hat. Diese Unverdrossenheit, dieses Voranstürmen, diese Unermüdlichkeit, dieses stete Erkunden aller Dinge und Orte und dieses Interesse an allem Neuen. Wohin auch immer einer von uns eine Reise unternommen oder einen Ausflug gemacht hatte, es gab keinen Ort, an dem Du nicht entweder bereits selbst gewesen warst oder über den Du nicht etwas zu erzählen wusstest. Mindestens aber hattest Du schon von diesem Ort gehört und ihn gegoogelt, ganz gleich, wie lost ein place war.

Das Schlimme an allem Schönen ist, Volker, dass dem Menschen leider fast immer erst im Nachhinein klar wird, wie schön es war. Auch denkt man zumeist immer erst dann intensiver darüber nach, was man an einem Menschen hatte, wenn er für immer gegangen ist und man feststellt, was er mit sich fortgenommen hat, was nun fehlen und was man vermissen wird. Du wirst uns nun fehlen, Volker, und alles, was Dich ausgemacht hat.

Wir, Deine Fachschaft, Deine Lateiner, Deine Freunde, hätten es Dir gerne persönlich gesagt, aber wir sind der festen Überzeugung, dass Dich das, was wir in den letzten Tagen über Dich erzählt haben, die Gesten, mit denen wir an Dich gedacht und an Dich erinnert haben und das, was wir hier über Dich schreiben, dass all dies Dich in irgendeiner Weise erreichen wird.

Jeder hat andere Erinnerungen an Dich, jeder teilt andere Erlebnisse mit Dir. Ich will an dieser Stelle aufzählen, was wir als Deine Fachkollegen zutiefst vermissen werden, weil Du nicht mehr bei uns bist.

Oft warst Du noch am späten Nachmittag in der Schule und reihum haben wir Dich im Kopierraum aufgestöbert, wo Du Helm, Schal und Jacke zusammenklaubtest, um auf einem Deiner Mopeds nach Hause zu fahren. Ganz charakteristisch sagtest Du dann in der immer gleichen überrascht-erfreuten Betonung „Ach- Kay/Daniela/Ilka!“ und man ging gemeinsam Richtung Hinterausgang. Das war eine verlässliche Konstante in unserem gemeinsamen Berufsleben, von der wir nicht dachten, dass sie einmal wegbrechen würde. Wie oft haben wir gemeinsam Deine Schlüssel, diverse Brillen und ganze Rucksäcke gesucht, quer durch die Schule. Manchmal haben wir dabei selbst lang vermisste Dinge wiedergefunden. Du warst in der Lage Dinge aus tiefster Seele zu genießen, dass uns das Herz aufging, sei es, dass Du über unerwartete Schönheiten eines neu entdeckten Weges oder Ortes schwärmtest oder über die unerwartete Schmackhaftigkeit eines Jugendherbergsschnitzels. Immer warst Du unterwegs, Du hast Dich in Deiner Gemeinde und für das Gemeinwohl engagiert und warst der loyalste Mensch, den wir je kennen gelernt haben. Nie haben wir Dich schlecht gelaunt oder mürrisch erlebt, immer konstruktiv, nie zerstörerisch. Wir haben nie ein böses Wort von Dir gehört. Du hast auf kleine Dinge geachtet, Veränderungen an uns wahrgenommen und sie hervorgehoben. Du hast alles mitgemacht, was unsere verrückte kleine Fachschaft sich hat einfallen lassen, Dich als Abaelard und als Narcissus verkleidet und Pläne geschmiedet, um Latein zum Fach aller Fächer zu erheben. Der grüne Kringel um Dein Profilbild bei Whatsapp wird uns unendlich fehlen. Auch dort warst Du unermüdlich tätig: An jedem einzelnen Tag hast Du uns mit auf die Reise genommen, ich kann mich nicht erinnern, dass es einen Tag gab, an dem Du es versäumt hast, einen Statusbericht zu geben. Um so mehr erscheint mir dieses grüne Licht, das seit dem letzten Wochenende im November fehlt , als Sinnbild eines Menschen, der das irdische Leben hinter sich gelassen hat, um die Ewigkeit zu sehen, ein Licht, das erloschen ist, um an einem anderen Ort weiter zu leuchten.

Wir haben geplant, uns in den Herbstferien zum Essen zu treffen, Volker. Warum haben wir es nicht getan? Man neigt dazu, Dinge aufzuschieben. Zuweilen kommt einem das Leben dazwischen, jetzt der Tod. Ersteres zeigt sich gnädig, man kann Aufgeschobenes nachholen. Letzterer ist unbarmherzig und endgültig. Er lehrt uns immer wieder: Carpe diem!

Letztens haben wir uns an unseren gemeinsamen Tisch im Lehrerzimmer mit Dir darüber unterhalten, dass die Übersetzung „Nutze den Tag!“ gar nicht umfassend genug ist, gar nicht präzise wiedergibt, was das lateinische Verb beinhaltet. Die wörtliche Übersetzung „Pflücke den Tag!“ meint viel mehr, sie meint allumfassend, dass man den Tag leben soll, wahrhaft leben.

Wie jeder Mensch hast auch Du mit einigen Dingen gehadert, Volker. Aber wenn wir auf das zurückblicken, was wir in der Schule, als Fachschaft und privat gemeinsam erlebt haben, wenn wir uns in Erinnerung rufen, was Du von Dir und von Deinen Unternehmungen erzählt hast, dann glauben wir, dass es Dir dennoch gelungen ist, den einen oder anderen, ja vielleicht sogar viele Tage für Dich zu pflücken.

Anlässlich einer Weihnachtsfeier unserer Tischgruppe im Lehrerzimmer hast Du mir einmal einen Engel aus Holz geschenkt. Dieser Engel steht nun an Deinem Platz und er ist für uns ein Symbol dafür, dass wir Dich, den tiefgläubigen Christen, in die Hand Gottes gegeben haben. Du bist dort geborgen, Dir wird kein Leid geschehen, Du bist frei von allem Irdischen und allen Sorgen. Der Engel, Dein Geschenk, bleibt hier bei uns und wann immer wir ihn ansehen, werden wir an Dich denken, an die Zeit mit Dir, die gemeinsamen Erlebnisse. Irgendwann, wenn die voranschreitende Zeit die Trauer mit sich fortnimmt, werden wir wieder lächeln im Gedenken an die vielen kleinen und großen Momente, die ein Leben ausmachen, die Dein Leben ausmachten. Denn was bleibt am Ende eines Lebens?

Der Mensch. Der einzigartige, unverwechselbare, unwiederbringliche Mensch. Volker Just.

In stiller Trauer

Ilka Bikstermann

für die OHG-Schulgemeinde